Dieses Jahr bin ich mit meinem Gravel-Bike über die Alpen gefahren. Für die Tour hatte ich mir 8 Tage Zeit genommen. Mein Ziel: Verona in Italien. Der Zeitraum war sehr großzügig bemessen, so dass ich unterwegs viel Zeit hatte. Ich habe jede einzelne Etappe genossen und habe da, wo ich Lust und Laune hatte, Rast und ein Nickerchen gemacht. Herrlich.

Bevor es mit dem Zug zurück nach Deutschland ging, habe ich die Tour mit einem Stadtspaziergang durch das wundervolle Verona abgeschlossen. Es war eine geniale Zeit und eine ähnliche Tour habe ich mir auch schon für das kommende Jahr vorgenommen.

Als ich am letzten Tag auf dem Bahnsteig stand und auf den Zug wartete, kam ich mit einigen anderen Radfahrern, die auch eine Alpenüberquerung hinter sich hatten, ins Gespräch. Auch wenn wir das gleiche Ziel hatten, so waren wir doch in sehr unterschiedlichem Tempo und Mindset unterwegs. 

Ich traf ein Gruppe aus München, die in zwei Tagen über die Alpen gefahren war. Samstagmorgens los und sonntagabends mit dem Zug nach Hause. Kein Urlaubstag verschenkt. Auf meine Frage, wie sie die Tour empfunden haben, antwortete einer: Nicht viel gesehen, ich war die ganze Zeit im Tunnel…

Podcast

Die Mañana-Kompetenz von Gunter Frank und Maja Storch (*)
Zeitmanagement – So ein Schwachsinn

Work-Life-Balance: Eine grausame Idee

Auch wenn der Radfahrer von seiner Alpentour nicht viel mitbekommen hat, so kann er aber jetzt mit gutem Gewissen „Alpenüberquerung“ von seiner Löffelliste streichen. Zusätzlich hat er das „gute Gefühl“, etwas für seine Work-Life-Balance getan zu haben.

Das ist natürlich völliger Schwachsinn. In zwei Tagen über die Alpen zu hetzen hat nichts, und wirklich überhaupt nichts, mit entspannter Freizeitgestaltung und mit einer gesunden Work-Life-Balance zu tun.

Vielmehr veranschaulicht diese Geschichte die Grausamkeit der Work-Life-Balance, wie sie von vielen praktiziert wird. In unser völlig überfrachtetes Berufsleben muss unbedingt noch etwas Freizeit reingepackt werden. Balance? Das ich nicht lache…

Die Work-Life-Balance sorgt für zusätzlichen Stress

Das Einzige, was wir mit dieser Art der Freizeitgestaltung und Auslegung des Begriffs Work-Life-Balance erreichen, ist zusätzlicher Stress. Ja, du hast richtig gelesen. Die Work-Life-Balance  sorgt für zusätzlichen Stress. Also genau das Gegenteil, wofür der Begriff eigentlich stehen sollte.

Das ist auch der Grund, warum ich den Begriff Work-Life-Balance überhaupt nicht mag. Aus meiner Sicht gibt es da nichts in Balance zu bringen. Das hört sich für mich so an, als hätten wir zwei unabhängige Leben, die nichts miteinander zu tun haben, die wir in Balance halten müssten. So ein Schwachsinn.

Aus der guten Intention hinter dem Begriff, machen wir genau das Gegenteil dessen, was ursprünglich beabsichtigt war.

Die Work-Life-Balance verlängert die Aufgabenliste

Unser Kalender wird noch voller und die Aufgabenliste noch länger. Schließlich müssen noch die Meditation, die Yoga-Stunde, die Zeit mit Familie und Freunden und natürlich noch die Alpenüberquerung eingeplant werden.

Gleichzeitig reduziert sich aber nicht die Arbeitsbelastung. Meist ist eher das Gegenteil der Fall. Hier kommt regelmäßig etwas dazu. Ein Meeting mehr, an dem wir teilnehmen müssen, das Angebot mehr, was geschrieben werden muss, die eine Mitarbeiterin mehr, die ein Gespräch sucht.

Daher verlängert diese Missinterpretation des Begriffs Work-Life-Balance unsere Todo-Liste und stopft unseren Kalender immer voller. Höchste Zeit sich einen neuen Modebegriff zu suchen. Ich hätte einen im Angebot:

WORK-LIFE-INTEGRATION

Wir müssen unser Leben als ganzes sehen und berufliche wie auch private Dinge in unseren Alltag integrieren. Integration halt und keine Balance. Nicht zwei unterschiedliche Dinge, sondern ein Leben.

Unser Nervensystem

Um zu verstehen, wie irre diese Art der Freizeitgestaltung ist, müssen wir einen kurzen Ausflug in unser Nervensystem machen. 

Sympathikus und Parasympathikus sind Teile unseres vegetativen Nervensystems und funktionieren als Gegenspieler. Während der Sympathikus uns in Alarmbereitschaft versetzt, sorgt der Parasympathikus für Ruhe und Regenerationsphasen.

Beide Systeme, Sympathikus und Parasympathikus, sind wichtig und haben wechselseitig die Oberhand, d.h. wir sind entweder im Sympathikus oder im Parasympathikus unterwegs.

Während wir arbeiten sind wir die ganze Zeit im Sympathikus-Modus. Das sorgt für bessere Konzentration, erhöhte Wachsamkeit und so für gute Produktivität. Wunderbar.

Damit unser Körper und auch unser Gehirn regenerieren können, sind ausgiebige Phasen im Parasympathikus-Modus notwendig. Soweit zumindest die Theorie.

Aufgrund von Freizeitstress, der mit der Work-Life-Balance einhergeht, kommen wir, wenn überhaupt, viel zu selten in den Parasympathikus. Auch in der Freizeit sind wir ständig in Alarmbereitschaft.

Das hat natürlich nicht nur mit der Art unserer Freizeitgestaltung zu tun, auch die ständige Erreichbarkeit etc. spielt hier mit rein. Das ist aber ein anderes Thema…

Alarmsignale für Überlastung

Diese übermäßige / ausschließliche Zeit im Sympathikus sorgt für Stress, der sich unmittelbar auf unsere Gesundheit auswirkt. Etliche Studien haben mittlerweile nachgewiesen, dass Stress für viele unserer täglichen gesundheitlichen Beschwerden verantwortlich ist. Dazu zählen unter anderem:

  • Rückenschmerzen
  • Schlafstörungen
  • Übergewicht
  • Ohrgeräusche
  • Burnout
  • Depressionen

Es wird also höchste Zeit, dem Parasympathikus wieder mehr Raum zu geben.

Unsere Freizeit hat keine Todo-Liste

Um das zu erreichen, müssen wir in unserer Freizeit herunterfahren, abschalten und den Müßiggang zulassen. Und nicht unsere Freizeit durchplanen und mit Aufgabenlisten versehen.

Todo-Listen für unsere Freizeit sind ein absolutes No-Go. Genau wie übervolle Kalender und bis aufs letzte durchgeplante freie Wochenenden oder Urlaube. Diese Arten sorgen nur für Stress und genau der hat in unserer freien Zeit, abseits vom Job, nichts verloren.

Beherzigen wir das nicht, kommt unser Sympathikus nicht zur Ruhe und der Parasympathikus nicht zum Zuge.

Ein Aufruf zu mehr Gelassenheit

Egal wie wir es nennen, ob Work-Life-Balance, Work-Life-Integration oder wie auch immer, wir müssen lernen, wieder richtig abzuschalten. Wir müssen den Müßiggang zulassen und die Seele öfters einfach nur baumeln lassen.

In der Freizeit ist Gelassenheit Trumpf. Keine Planung, keine Termine, keine Todo-Listen, einfach im Hier und Jetzt sein. Das ist es, was wir dringend brauchen und keine Alpenüberquerung in zwei Tagen.

Mittlerweile gibt es übrigens einen neuen Trend: Alpenüberquerung in einem Tag. Nachts um 3:00 Uhr in München los und kurz vor Mitternacht in Venedig… 

Wie gestaltest du deine Freizeit? Welche Meinung hast du zur Work-Life-Balance? Ich freue mich auf unseren Austausch in den Kommentaren 🙂

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